Ethik

Ethik
Moralphilosophie. 1. Begriff: E. ist die Lehre bzw. Theorie vom Handeln gemäß der Unterscheidung von gut und böse. Gegenstand der E. ist die  Moral. Die griechische E. war empirisch und normativ zugleich. Heute wird eine empirische, deskriptive E. streng unterschieden von der normativen E., die ein Sollen formuliert; dieses Sollen erhebt Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit.
- 2. Es lassen sich fünf Perspektiven der E. auf Moral unterscheiden: a) Beim Inhalt eines Moralkodex geht es um die Frage, welche Regeln dazu zu zählen sind und welche nicht.
- b) Bei der Begründung geht es darum, für die Allgemeinverbindlichkeit normativer Regeln „gute Gründe“ zu nennen.
- c) Die Legitimation moralischer Regeln erfolgt – zumindest in der  Konsensethik – durch die Zustimmung der Betroffenen und ist von der diskursiven Begründung zu unterscheiden.
- d) Die Motivation zu einem Handeln gemäß moralischen Regeln ist von Begründung und Legitimation nochmals zu unterscheiden, obwohl in Einzelfällen durchaus „gute Gründe“ oder die eigene Zustimmung als Handlungsmotive auftreten können.
- e) Die Fragen nach der Entstehung und Entwicklung moralischer Regeln nimmt in der wissenschaftlichen Moralforschung einen breiten Raum ein. Es lassen sich drei Varianten unterscheiden: Die Variante vom Typ Weber ( Max-Weber-These) oder  Hayek untersucht Entstehung und Entwicklung von Moral im Kontext der gesellschaftlichen, kulturellen Evolution. Moderne ökonomische Ansätze rekonstruieren die Entwicklung der Moral aus individuellen Kalkülen bzw. als ihr – intendiertes oder aber nichtintendiertes – Resultat; schließlich ist die rein vergleichende empirische Moralforschung zu nennen.
- 3. Begründung von Normen: a) Hinsichtlich der theoretischen Grundlagen moralischer Normen lassen sich fünf wichtige Ansätze von E. unterscheiden. (1) Die Ordnung der Natur enthält die Regeln auch des menschlichen Zusammenlebens (Naturalismus), wobei die „Natur“ griech. als Kosmos, frühneuzeitlich als teleologische, später als naturwissenschaftliche, heute bes. als (sozio- oder evolutions-)biologische Natur verstanden wird. (2) Christlich werden Normen im Willen Gottes begründet. (3) Marxistisch werden Normen aus den Gesetzen der Geschichte begründet. Diese drei Begründungen greifen auf Grundlagen zurück, die vom menschlichen Wollen unbeeinflussbar sind. (4) Die Diskursethik greift auf die dem menschlichen Argumentieren immanenten, notwendigen Unterstellungen zurück, die normativen Charakter haben. Diese Begründung geht auf eine vom menschlichen Wollen unabhängige Instanz zurück. (5) Am weitesten verbreitet ist heute die Begründung von Normen im menschlichen Wollen in zwei maßgeblichen Varianten: Einer Begründung im Nutzen –  Utilitarismus – und im Konsens –  Konsensethik. Hier unterliegen Normen – qua kollektive Selbstbindungen – dem menschlichen Wollen.
- b) Gemäß dem Kognitivismus werden Normen in einem der Wahrheitsfindung analogen und durch Vernunft gesteuerten Verfahren erkannt. Demgegenüber verneint der Non-Kognitivismus eine solche Möglichkeit und gründet Normen auf Interessen (Wollen: Dezisionismus) oder dem Gefühl (Wohlwollen).
- c) E. kann entweder alle Handlungen wegen der Ziele oder Folgen – teleologische oder konsequentialistische E. – als gut oder böse beurteilen oder aber einige bes. wichtige Handlungen herausheben, die als solche, also ohne Rücksicht auf die Folgen, unbedingt gelten – deontologische E., griech. to deon = Pflicht.
- d) Damit verwandt, aber nicht identisch, ist die Unterscheidung von Weber zwischen der keine Kompromisse duldenden Gesinnungsethik – Handlungen sind gut (allein) aufgrund der Gesinnung – und der Verantwortungsethik – die Beurteilung hat die durchschnittlichen voraussehbaren Folgen des Handelns dem Handelnden zuzurechnen.
- 4. Inhalt von E.: Die Inhalte der E. waren in der Antike und im Mittelalter durch in das alltägliche Leben eingelassene Normen, Sitten und Gebräuche gegeben; sie wurden später in Katalogen von Tugenden und Pflichten und einer ausgebauten Kasuistik konkretisiert. Im Zuge der neuzeitlichen Modernisierungsprozesse lösen sich diese Traditionen allmählich auf. Moderne E. seit I. Kant versteht sich daher zunehmend als Prinzipienethik und neuerdings als Verfahrensethik: Sie legt allgemeine Prinzipien fest, z.B. den kategorischen Imperativ Kants oder den Imperativ des Schutzes des Lebens bei H. Jonas, die dann – in einem bestimmten ethischen Verfahren – auf die konkreten Entscheidungstatbestände angewandt werden.
- 5. Neuere Entwicklungen: Bes. seit Kant hat sich die Diskussion auf Fragen der Begründung moralischer Normen konzentriert. In neuerer Zeit wird der Frage der Implementation von Moral verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet. Das Grundproblem besteht darin, dass kein Moralsystem auf Dauer Bestand haben kann, das vom Normadressat fordert, systematisch gegen seine eigenen Interessen zu handeln bzw. unter Bedingungen zu handeln, die die intendierten Folgen der moralischen Handlung nicht zustande kommen lassen. In diesem Zusammenhang gewinnt die Unterscheidung von Individualethik und Institutionenethik an Bedeutung. In der modernen Gesellschaft gewinnt die institutionelle Ebene systematischen Vorrang vor der Handlungsebene bei der Bewältigung moralischer Konflikte: Die Regeln sind politisch – auch unternehmenspolitisch – so zu gestalten, dass individuelles moralisches Handeln möglich wird (ökonomisch formuliert: Anreizkompatibel). E. wird damit zu einer Ordnungsethik (Regelethik, Institutionenethik) und, bezogen auf individuelles Handeln, zu einer Anreizethik, bei der es um die eigene und zugleich allgemeine Besserstellung geht. Literatursuche zu "Ethik" auf www.gabler.de

Lexikon der Economics. 2013.

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